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Literatur

Chased By A Stranger

Ich mag kei­ne Kri­mis, nicht als Buch und nicht im Fern­se­hen. Die­ses Whod­u­nit inter­es­siert mich null und ich kann mir unge­fähr hun­dert­tau­send Din­ge vor­stel­len, die ich an einem Sonn­tag­abend lie­ber täte, als mich andert­halb kli­schee- und pro­blem­über­frach­te­ten Stun­den deut­schen Fern­se­hens aus­zu­set­zen, nur um zu erfah­ren, mit welch aben­teu­er­li­chen Kon­struk­tio­nen die Dreh­buch­au­to­ren bestä­ti­gen, dass ich tat­säch­lich von der ers­ten Minu­te an wuss­te, wer der Täter war.

Doch Roma­ne von Tho­mas Gla­vi­nic ver­spre­chen immer die etwas ande­re Lek­tü­re, wie etwa „Das bin doch ich“, das von einem Schrift­stel­ler namens Tho­mas Gla­vi­nic han­del­te. „Lisa“ han­delt jetzt von einem Mann, der sich Tom nennt und all­abend­li­che Web­casts abhält.

Mit sei­nem Sohn Alex hat sich Tom in ein Feri­en­haus in einer ent­le­ge­nen Berg­re­gi­on zurück­ge­zo­gen, weil er sich ver­folgt wähnt. Ver­folgt von einer Frau, die er Lisa nennt und die bes­tia­li­sche Mor­de in der hal­ben Welt ver­übt hat: Men­schen gehäu­tet, Men­schen gekocht, Men­schen gepfählt. Tom berich­tet von die­sen Mor­den und redet noch über sehr viel mehr, wäh­rend er sich jeden Abend mit Whis­key und Koks den Schä­del zuknallt – wodurch sei­ne Schil­de­run­gen nicht gera­de ratio­na­ler, glaub­wür­di­ger oder ein­fach auch nur zusam­men­hän­gen­der wir­ken.

Die­se Grund­idee ist ja gar nicht schlecht, aber vom gan­zen Set­ting her taugt die Geschich­te bes­ser zum Hör­spiel oder zum Ein-Mann-Thea­ter­stück als zum Roman – wes­we­gen das von Chris­ti­an Brück­ner ein­ge­le­se­ne Hör­buch wahr­schein­lich die emp­feh­lens­wer­te­re Dar­ei­chungs­form ist. Ande­rer­seits muss man bei einem Post­mo­der­nis­ten wie Gla­vi­nic natür­lich auch gleich wie­der ver­mu­ten, dass es vol­le Absicht gewe­sen sein könn­te, das gan­ze Kon­zept medi­al zu bre­chen und absicht­lich an der Umwand­lung zu schei­tern.

Ent­spre­chend schwie­rig ist es auch, sich ein ernst­haf­tes Urteil über das Werk zu bil­den: Unter Kri­mi-Geischt­s­punk­ten sind die Plot Points und Auf­lö­sun­gen (bzw. deren Feh­len) offen­sicht­lich haar­sträu­bend und ent­täu­schend. Aber „Lisa“ ist ja kein Kri­mi im eigent­li­chen Sin­ne, son­dern ein zuge­dröhn­ter Stream of Con­scious­ness, der mit rea­len Fäl­len und Per­so­nen (Peter Hand­ke und Jörg Hai­der kom­men jeweils in einem Neben­satz schlecht weg) eben­so han­tiert, wie mit der Fra­ge, was jetzt real ist und was nicht.

Doch in die­sem Spa­gat hat sich Gla­vi­nic ver­hed­dert, so dass „Lisa“ letzt­lich weder auf der einen, noch auf der ande­ren Sei­te funk­tio­niert: Kri­mi-Fans wer­den, wenn sie aus den völ­lig geis­tes­kran­ken Mor­den nicht noch irgend­ei­nen woh­li­gen Schau­er mit­neh­men, von dem Buch und vor allem von sei­nem Ende ent­täuscht sein, und Lite­ra­tur-Lieb­ha­ber wer­den vor einem insta­bi­len Sto­ry­ge­rüst ste­hen, das nur not­dürf­tig mit Meta-Ebe­nen und sti­lis­ti­schen Ver­zie­run­gen ver­klei­det ist.

Und woher kommt über­haupt die­se Obses­si­on der jün­ge­ren deutsch­spra­chi­gen Schrift­stel­ler, moder­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on gewalt­sam in Roman­form abbil­den zu wol­len? Das hat doch auch bei Dani­el Kehl­mann in „Ruhm“ nur so mit­tel-gut geklappt und es zwingt sie ja (mut­maß­lich) nie­mand dazu, wo ande­re Medi­en doch viel nahe­lie­gen­der erschei­nen.

Tho­mas Gla­vi­nic – Lisa
Han­ser Ver­lag
17,90 Euro
(Rezen­si­ons­exem­plar)