Kategorien
Politik Gesellschaft

Mein Protest-Problem

Um das Verhältnis der Ruhr-Uni Bochum zu Studentenprotesten zu verstehen, muss man wissen, dass es in Bochum eher die Ausnahme ist, wenn gerade mal nicht irgendwo wofür oder wogegen demonstriert wird. Als vor drei Jahren das damals leerstehende Querforum West (erst Übergangsmensa für die Zeit des Mensaumbaus, heute Tutorienzentrum und für diese Funktion denkbar ungeeignet) besetzt wurde, belauerten sich Uni-Verwaltung und Besetzer etwa acht Monate lang, bis das Gebäude dann doch von der Polizei geräumt wurde.

Studentenvertretung und Protestkomitee – ein Wort, bei dem ich im Geiste immer “Kölner Karneval” ergänzen will – schaffen es grundsätzlich nicht, der riesigen Mehrheit der Studentenschaft ihre Anliegen zu erklären. Auf den spärlich besuchten Vollversammlungen springen die Redner oft binnen weniger Sätze von der Kritik am Bildungssystem zur Abschaffung des Kapitalismus und dem Krieg in Afghanistan. Während an anderen Unis die Professoren und Dozenten ihre Studenten zur Teilnahme am Bildungsstreik ermutigen, haben in Bochum selbst die engagiertesten Professoren keine Lust mehr, sich mit Protesten auseinanderzusetzen, und fragen, ob es nicht geeignetere Methoden gäbe, die durchaus berechtigte Kritik an der desaströsen Bildungspolitik der schwarz-gelben Landesregierung zu artikulieren.

Heute Morgen dann wurde die Uni-Brücke belagert. Die Protestler flehten die heranströmenden Studenten fast schon an, sich doch ihre Argumente und Ziele anzuhören. Aber irgendwie war die Idee, die Leute über und unter Absperrungen klettern zu lassen, nicht geeignet, die gewünscht Botschaft zu vermitteln. Die Studenten waren genervt und machten Witze. Vor dem Zelt des Proteskomitees saßen Menschen, für deren Besetzung als Studentenvertreter in einem Fernsehfilm man den zuständigen Castingdirektor wegen Klischeelastigkeit entlassen hätte. Und als schließlich etwa achtzig Protestler die Hörsäle stürmten und “Solidarisieren, Mitmarschieren!” skandierten, wusste ich plötzlich wieder ganz genau, warum mir das alles nicht gefällt: Ich mag einfach kein Gebrüll und kein Marschieren.

Vor drei Jahren war ich für CT das radio bei einer Demonstration gegen Studiengebühren in Düsseldorf und dieser Tag hat mein Verhältnis zu Protestaktionen nachhaltig gestört: Während am Straßenrand Passanten standen und sich angesichts der doch recht allgemein gehaltenen Transparente und Sprechchöre fragten, worum es eigentlich ginge, kam ein Teil der Menge auf die Idee, zur Melodie von “Einer geht noch, einer geht noch rein” immer wieder “Ohne Bildung wer’n wir Polizist” zu grölen, was ich auch rückblickend noch als empörenswerten Ausbruch von Arroganz und Menschenverachtung empfinde.

Kaum waren die Absperrungen entlang der Bannmeile um den Landtag erreicht, hielt es ein Teil der Demonstranten offenbar für geboten, diese als erstes zu Überspringen, was die Polizei zum Heranstürmen veranlasste. Ich floh derweil mit einem Redaktionsnachweis in der einen und meinem Jugendpresseausweis in der anderen Hand hinter die Polizeilinien und telefonierte aufgeregt in die Livesendung, während ein paar Meter weiter Chinaböller in Richtung von Kindern und alten Frauen flogen, die sich bizarrerweise im Park um den Landtag aufhielten.

Demonstranten schrien andere Demonstranten an, sie sollten doch mit dem Scheiß aufhören. Polizisten bellten in ihre Funkgeräte, was für Idioten denn wohl veranlasst hätten, die Menge auch noch mit Videokameras zu filmen — auf solche Provokationen könne man ja wohl verzichten. Eine andere Hundertschaft machte gerade Mittagspause in der Sonne. Ich dachte – und denke es gerade angesichts der Meldungen aus Teheran wieder -, dass es vielleicht im Großen und Ganzen doch nicht so übel ist, in Deutschland zu leben.

Wenn heutige Studenten jetzt von ’68 träumen, legen sie damit immerhin die für erfolgreiche Revolutionen benötigte Weltfremde an den Tag. Zwar neigt Geschichte dazu, in Abständen von etwa vierzig Jahren vergleichbare gesellschaftliche Spannungen zu durchlaufen, aber die Welt ist 2009 doch in fast jeder Hinsicht eine andere als 1968. Oder: Zumindest Deutschland ist ein anderes.

Auch wenn ich persönlich mit meinem Studium ziemlich zufrieden bin, weiß ich von genug Leuten, bei denen die Bachelor/Master-Studiengänge zu Desastern geführt haben. Ich glaube in der Tat, dass bildungspolitisch einiges, wenn nicht alles, im Argen liegt. Aber mich überzeugen diese Formen des Protests (zumindest die, dich ich bisher mitbekommen habe) nicht — ich halte sie viel eher für kontraproduktiv. Dass Demonstrationszüge ohne den nötigen Rückhalt in der Bevölkerung allenfalls Mitleid erzeugen, kann man jeden Montagabend in der Bochumer Innenstadt besichtigen.

Fragen Sie mich nicht, wie ich das machen würde. Ich leiste mir nach wie vor die Naivität, an die Macht des Dialogs zu glauben und an den Sieg der Vernunft. Auch hunderte Landes- und Bundesregierungen werden mich nicht davon abbringen können — und mit dieser Weltfremde bin ich doch irgendwie wieder ganz bei den Protestlern.

Musik!

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.