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Literatur

Er, Ich, Über-Ich

Es ist natür­lich rei­ner Zufall, dass aus­ge­rech­net in dem Herbst, in dem das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ent­schei­det, dass Maxim Bil­lers Roman „Esra“ ver­bo­ten bleibt, weil er zu nah an der Rea­li­tät sei und die Per­sön­lich­keits­rech­te der „Prot­ago­nis­ten“ ver­let­ze, ein Roman erscheint, der der Wirk­lich­keit so nahe kommt, dass er schon fast die Fra­ge auf­wirft, ob es sich über­haupt noch um einen Roman han­delt: Die Haupt­fi­gur in Tho­mas Gla­vi­nic‘ Roman „Das bin doch ich“ heißt Tho­mas Gla­vi­nic, ist Schrift­stel­ler, hat gera­de einen Roman fer­tig­ge­stellt und war­tet auf des­sen Ver­öf­fent­li­chung. Er kämpft sich durch den All­tag mit Frau, Klein­kind und Neu­ro­sen, trinkt regel­mä­ßig viel zu viel und ist viel im öster­rei­chi­schen Lite­ra­tur- und Kul­tur­be­trieb unter­wegs. Ansons­ten pas­siert wenig.

Es ist weni­ger die Hand­lung, die „Das bin doch ich“ zu einem unge­wöhn­li­chen Buch macht. Sie ist gleich­sam nicht vor­han­den und Gla­vi­nic (der ech­te wie der lite­ra­ri­sche) hat mit „Der Kame­ra­mör­der“ und „Die Arbeit der Nacht“ bedeu­tend hand­lungs­rei­che­re Roma­ne geschrie­ben. „Das bin doch ich“ lebt von der vor­der­grün­dig auf­ge­lös­ten Gren­ze zwi­schen Autor und Haupt­fi­gur, von der stän­di­gen Fra­ge, wel­che Roman-Pas­sa­gen abge­schrie­be­ne Wirk­lich­keit und wel­che Fik­ti­on sein könn­ten.

Gla­vi­nic (der Autor) war aber klug genug zu erken­nen, dass sol­che post­mo­der­nen Expo­si­tio­nen allei­ne einen Roman von 230 Sei­ten nur schwer­lich tra­gen kön­nen, und so lässt er sei­nen Tho­mas Gla­vi­nic im All­tag absur­de, quä­len­de und zum Teil rich­tig pein­li­che Geschich­ten erle­ben, die er mit unprä­ten­tiö­ser Spra­che erzählt. Das liest sich leicht und unter­hält.

Damit offen­ba­ren sich auch schon die zwei Haupt­les­ar­ten von „Das bin doch ich“: Die lite­ra­tur­wis­sen­schaft­li­che Her­an­ge­hens­wei­se, bei der man sich die gan­ze Zeit mit Erzähl­theo­rien und dem Kon­zept von Fik­ti­on und Rea­li­tät beschäf­ti­gen kann, und die Klatsch­va­ri­an­te, bei der man alles Beschrie­be­ne für bare Mün­ze nimmt und sich an den ver­meint­li­chen (dann aber doch eher unspek­ta­ku­lä­ren) Ein­sich­ten in die öster­rei­chi­sche Kul­tur­sze­ne erfreu­en kann. Angst vor juris­ti­schen Schrit­ten muss Gla­vi­nic dabei kaum haben: Von allen beschrie­be­nen Figu­ren ist der größ­te Säu­fer und Neu­ro­ti­ker sei­ne Haupt­fi­gur, also letzt­lich er selbst.

Dabei bleibt Gla­vi­nic, die Roman­fi­gur, trotz aller Wei­ner­lich­keit und sei­nem offen­sicht­li­chen Unver­mö­gen, mit sei­nem All­tag zurecht­zu­kom­men, immer sym­pa­thisch. Nur wenn er mor­gens ängst­lich vor dem Com­pu­ter hockt und sich fragt, wem er in der vor­he­ri­gen Nacht wie­der betrun­ke­ne E‑Mails geschrie­ben haben könn­te, wird die Situa­ti­on bei allem Amü­se­ment unglaub­wür­dig: „Guck doch ein­fach in Dei­nen ver­damm­ten ‚Gesendet‘-Ordner!“, möch­te man ihm da zuru­fen und wür­de damit aber­mals die Gren­zen der Lite­ra­tur spren­gen, mit denen Gla­vi­nic, der Autor, die gan­ze Zeit han­tiert. Eine drit­te Les­art wäre natür­lich, sich weder auf Theo­rien noch auf Klatsch zu kon­zen­trie­ren, son­dern das Buch als gelun­ge­ne Mischung aus bei­dem und als inter­es­san­te Unter­hal­tung zu betrach­ten.

Die außer­ge­wöhn­li­che Aus­gangs­la­ge des Romans sorgt schnell dafür, dass man sich genau­er mit sei­ner Form als mit sei­nem Inhalt aus­ein­an­der­setzt. Lässt man sich auf das Spiel ein und akzep­tiert das Geschrie­be­ne als im gro­ßen und gan­zen real, dann ist „Das bin doch ich“ ein inter­es­san­te Stu­die über einen Autor, der mit sei­ner Tages­frei­zeit nichts anzu­fan­gen weiß, was im Ergeb­nis dazu führt, dass er einen Meta-Roman über sich und sei­ne Situa­ti­on schreibt. Bei die­ser Kon­struk­ti­on muss man dann natür­lich vor­sich­tig sein, dass sie einen nicht bei län­ge­rem Nach­den­ken in den Wahn­sinn treibt, so wie der Roman-Gla­vi­nic mit sei­ner Hypo­chon­drie, sei­ner Flug­angst und sei­ner immer kon­fu­ser wer­den­den Kon­ver­sa­ti­on mit sei­nem Freund, dem Best­sel­ler­au­tor Dani­el Kehl­mann („Die Ver­mes­sung der Welt“), auch immer ein biss­chen wahn­sin­ni­ger zu wer­den scheint.

Unab­hän­gig vom tat­säch­li­chen Rea­li­täts­ge­halt zeich­net „Das bin doch ich“ ein glaub­wür­di­ges Bild aus dem Leben eines Krea­ti­ven mit all sei­nen Macken, Sor­gen und Ängs­ten. Gla­vi­nic pen­delt dabei gekonnt zwi­schen Kli­schees und eher über­ra­schen­den Anek­do­ten aus der Welt der Hoch­kul­tur und bringt den deut­schen Lesern ganz neben­bei sei­ne öster­rei­chi­sche Hei­mat und vor allem Wien näher. Wenigs­tens ein­mal will man auch beim Inder am Nasch­markt essen gehen, wie es der Prot­ago­nist jeden Tag tut. Viel­leicht wür­de man dort tat­säch­lich auf den ech­ten Tho­mas Gla­vi­nic tref­fen. Viel­leicht aber auch nicht.

Eine beson­de­re Iro­nie der Geschich­te (nicht des Romans): Mit „Das bin doch ich“ gelang Gla­vi­nic das, wor­auf sein Roman­held mit dem Vor­gän­ger „Die Arbeit der Nacht“ ver­geb­lich hofft – der Sprung auf die Short­list des Deut­schen Buch­prei­ses.