Ich werde eher selten zur Teilnahme an Podiumsdiskussionen geladen, weswegen ich diese ermüdenden Anti-Blog-Diskussionen, von denen man bei renommierteren Bloggern immer wieder liest, noch nie aus der Nähe erlebt habe. Das änderte sich aber am Donnerstag, als wir in einem Literaturseminar auf das “Vanity Fair”-Blog von Rainald Goetz zu sprechen kamen.
Die meisten der etwa zehn Seminarteilnehmer kannten den Namen Rainald Goetz nicht ((Sie hörten sogar von der berühmten Stirn-aufschlitz-Geschichte zum ersten Mal, fanden sie aber gleich doof.)) und hatten noch nie ein Blog gelesen. Beides ist sicherlich verzeihlich, bei Germanistikstudenten Anfang Zwanzig aber vielleicht auch etwas unerwartet.
Da wir mit der Interpretation des Goetz’schen Werkes nicht so recht aus dem Quark kamen, driftete die Diskussion in grundsätzlichere Gefilde. Einem Kommilitonen ((“Kommilitone” gehört zu den Begriffen, die ich nur schreiben kann, wenn ich an einem Computer mit automatischer Rechtschreibüberprüfung sitze. Weitere Beispiele: Atmosphäre, Feuilleton, Kommissar, aufpfropfen.)) missfiel diese ganze “Selbstdarstellung” in Form von StudiVZ, Blogs und Videos, und eine Kommilitonin, die zuvor geäußert hatte, außer Auslandstagebüchern von Freunden noch nie ein Blog gesehen zu haben, echauffierte ((Ha, noch so ein Wort!)) sich in harschem Ton über die mindere Qualität und die allerorten anzutreffende Selbstdarstellung, die sie “peinlich” finde.
Nun gehöre ich nicht zu den Vertretern jener Zunft, die im Internet die Heilsbringung für alles und jeden sehen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es auch in fünfzig Jahren noch Menschen geben wird, die das Internet überhaupt nicht nutzen. Es gibt ja auch heutzutage Leute, die weder Telefon noch Fernseher besitzen, und von Eugen Drewermann liest man immer wieder, dass er noch nicht einmal einen Kühlschrank in seiner Wohnung habe. Etwas erstaunt bin ich aber, wenn Menschen in meinem Alter, die mitten im Leben stehen ((Gut: Einige von ihnen wollen vielleicht Lehrer werden …)), moderne Medien und Phänomene rundherum ablehnen, und halbwegs sauer werde ich, wenn sie dies ohne vorherige Inaugenscheinnahme tun.
Ich kippelte mit meinem Stuhl nach hinten, breitete die Arme aus und lächelte. “Natürlich gibt es viel Schrott im Internet, aber den hat man in der traditionellen Literatur oder wo auch immer ja auch. Ich finde es gerade spannend, dass man sich selbst ein bisschen umsehen muss, um gute Sachen zu finden. Aber es gibt eben jede Menge gute und spannende Sachen im Netz.”
So ganz wusste die junge Frau wohl nicht, was in Blogs überhaupt so drinstehen kann. Oder Goetz hatte sie auf die falsche Fährte gelockt: Sie erzählte jedenfalls, in ihrem Bekanntenkreis gebe es Dutzende Leute, die immer schon erzählt hätten, sie würden gerne mal ein Buch schreiben. Getan habe das zum Glück noch keiner. Aber jetzt könnten alle mit ihrer minderen Qualität das Internet vollschreiben.
Mit der gleichen Begründung, so entgegnete ich, könne sie ja auch Konzerte von Nachwuchsbands in Jugendzentren verdammen, weil die oft auch nicht so doll seien. “Das ist doch das spannende, dass heute endlich die Versprechungen der Pop Art und fast aller wichtigen Medientheorien des 20. Jahrhunderts eingelöst werden”, geriet ich etwas zu heftig in Fahrt. “Warhols 15 Minuten Ruhm, ‘Jeder ist ein Künstler’, ‘the medium is the message’: jeder kann sich einbringen!” Ich dachte: “Jetzt hassen sie mich alle. Namedropping, Angeberei und Pathos. Das kann in einer Universität nicht gut gehen.” Dann fügte ich hinzu: “Ich finde, dass jede Form von Kunst, die irgendjemandem was bedeutet – und sei es nur dem Künstler selbst – ihre Berechtigung hat.” ((Das ist übrigens eine Einstellung, die ich regelmäßig verwerfen will, wenn ich das Radio einschalte und mit Maroon 5 oder Revolverheld gequält werde.))
Meine Gegenüberin äußerte nun die Vermutung, wir hätten offensichtlich recht unterschiedliche Kunstbegriffe. Leider befanden wir uns zeitlich schon in der Verlängerung, so dass wir uns nicht mehr wirklich hochschaukeln konnten. Aber ich fühlte mich schon etwas knüwer als sonst.