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Politik

Niederrheinische Mengenleere

Wir müs­sen mal für einen kur­zen Moment so tun, als inter­es­sie­re uns die Lokal­po­li­tik in mei­ner frü­he­ren Hei­mat­stadt Dins­la­ken.

Nein, das ist Quatsch. Lokal­po­li­tik inter­es­siert schon in Dins­la­ken nie­man­den mehr, da ist sie hier eigent­lich völ­lig off topic. Ich wäre auch schlicht nicht in der Lage, die Vor­ge­schich­te zu rekon­stru­ie­ren, die zu dem Rats­bür­ger­ent­scheid führ­te, der die Stadt im Moment beschäf­tigt. Nie­mand in Dins­la­ken weiß noch so genau, wor­um es ging, was die Situa­ti­on so beson­ders mach­te, der sich die Wahl­be­rech­tig­ten am ver­gan­ge­nen Sonn­tag (bei strö­men­dem Regen und geöff­ne­ten Geschäf­ten in der Innen­stadt) aus­ge­setzt sahen. Aber wir haben es hier mit einem beein­dru­cken­den Bei­spiel von poli­ti­schem Selbst­ver­ständ­nis zu tun, das ich für all­ge­mein­gül­tig hal­te und Ihnen des­halb nicht vor­ent­hal­ten will.

Nun also doch ganz kurz zur Vor­ge­schich­te: Es geht grob dar­um, ob auf einem Park­platz am Ran­de der Innen­stadt ((„Rand“ heißt hier: fuß­läu­fig durch­aus zu errei­chen, aber durch Gebäu­de und Stra­ßen doch irgend­wie ziem­lich abge­trennt.)) ein Ein­kaufs­zen­trum gebaut wer­den soll. Es ist hier völ­lig uner­heb­lich, wer das bau­en soll, wie das finan­ziert wird und was das alles mit dem MSV Duis­burg zu tun hat. ((In Dins­la­ken ist es natür­lich gar nicht uner­heb­lich, da ist es lang­wie­rig und trau­rig. Aber wie gesagt: zu kom­plex, als dass noch irgend­je­mand durch­bli­cken wür­de.)) Alles, was Sie jetzt noch wis­sen müs­sen, ist: Die Stim­mung in der Stadt war sehr dage­gen, die Stim­mung in der gro­ßen Koali­ti­on im Rat war sehr dafür.

Ein Bür­ger­be­geh­ren, bei dem sich 6.000 Dins­la­ke­ner gegen die Bebau­ung aus­ge­spro­chen hat­ten, ver­hall­te aus for­ma­len Grün­den unge­hört, aber der Rat beschloss einen frei­wil­li­gen Bür­ger­ent­scheid, bei dem raus­kom­men soll­te, dass „die Dins­la­ke­ner eine Bebau­ung des Plat­zes nicht grund­sätz­lich ableh­nen“. Das ist unge­fähr so sinn­voll wie wenn Eltern zu ihren Kin­dern sagen wür­den: „Okay, wir sehen: Ihr mögt kei­nen Fisch. Ihr habt hier zwar nix zu sagen, aber wir sind mal so groß­zü­gig und räu­men Euch jetzt die Mög­lich­keit ein, uns zu zei­gen, dass Ihr Fisch nicht grund­sätz­lich ablehnt!“ ((Sie ver­ste­hen, war­um eine Kar­rie­re im poli­ti­schen Kaba­rett für mich nicht in Betracht kommt.))

Nun mach­ten aber nur 17,9% der Kin­der von der Mög­lich­keit Gebrauch, sich zum Fisch zu äußern. Zwei Drit­tel davon waren gegen den Fisch bzw. die Bebau­ung, 6.399 Leu­te. Die Stadt­ver­wal­tung hat­te aber fest­ge­legt, dass min­des­tens 11.000 dage­gen sein müss­ten.

Ande­rer­seits waren ja von 55.644 Wahl­be­rech­tig­ten auch nur 3.546 für die Bebau­ung, was eher unso­li­de 6,37% sind. Der Rest zählt (und wir wis­sen, wie das mit schwei­gen­den Mas­sen ist) wohl als „nicht grund­sätz­lich dage­gen“.

Nun wür­de man als nor­ma­ler Mensch sagen: „For­ma­li­tä­ten hin und her: Nach allem, was uns an Zah­len vor­liegt, sind zwei Drit­tel der Leu­te dage­gen und gera­de mal sechs Pro­zent unse­rer Bür­ger ist das Bau­vor­ha­ben so wich­tig, dass sie dafür am Sonn­tag bei Regen ins Wahl­lo­kal trot­ten. Viel­leicht soll­ten wir also doch mal gucken, ob wir das nicht irgend­wie anders machen.“

Und jetzt wer­fen wir bit­te jeg­li­che Logik über Bord, hal­ten uns unbe­dingt noch mal die Zahl von 3.546 Befür­wor­tern vor Augen und zitie­ren die Bür­ger­meis­te­rin Sabi­ne Weiss:

„Es ist wich­tig, dass man sol­che Gren­zen [die 11.000 erfor­der­li­chen Stim­men] setzt, sonst lie­ße sich mit 6000 Stim­men ja die gro­ße Mehr­heit einer Stadt domi­nie­ren. Ich glau­be nicht, dass man sagen kann, dass die, die nicht abge­stimmt haben, gegen die Bebau­ung sind oder dass ihnen die Fra­ge egal ist.“

Bit­te bei­ßen Sie in Ihren eige­nen Schreib­tisch, mei­ner ist schon durch.