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Unterwegs Gesellschaft

Nicht mehr jung und noch nicht alt

Das Miss­trau­en, das ich gegen jeg­li­che Form von Gene­ra­tio­nen­be­zeich­nung hege, wird nur noch von dem Miss­trau­en über­bo­ten, das ich Leu­ten ent­ge­gen­brin­ge, die von der „Jugend von heu­te“ reden. Per­so­nen, die mir lau­nig erzäh­len wol­len, alle Men­schen mei­ner Alters­stu­fe sei­en bei­spiels­wei­se gemein­schaft­lich unhöf­lich, kann man natür­lich nur schwer mit Argu­men­ten kom­men. Man kann aber (trotz hef­ti­gen Wider­wil­lens) freund­lich zu ihnen sein, was sie im Ide­al­fall ihren ver­all­ge­mei­nern­den Kul­tur­pes­si­mis­mus über­den­ken lässt.

Ich nei­ge dazu, nicht anwe­sen­de Kin­der und Jugend­li­che gegen­über älte­ren Men­schen zu ver­tei­di­gen – weil sie es gera­de selbst nicht kön­nen und weil ich Jugend­li­chen durch­aus noch eine gewis­se Unrei­fe zuge­ste­he, die sich in unser bei­der Inter­es­se am Tage ihres acht­zehn­ten Geburts­tags in Wohl­ge­fal­len auf­lö­sen möge. Und auch wenn ich es natür­lich in kei­ner Wei­se gut­hei­ßen möch­te, dass sich Min­der­jäh­ri­ge in der Öffent­lich­keit bis zur Bewusst­lo­sig­keit betrin­ken und die Fla­schen, aus denen sie ihren bil­li­gen Rausch geso­gen haben, danach auf Rad­we­gen und Wie­sen zer­trüm­mern, bin ich doch zumin­dest mil­de über­rascht über Kom­mu­nen, die Pres­se­mel­dun­gen wie die­se ver­öf­fent­li­chen:

Radfahren ja, Alkohol nein

Nicht nur, dass das Wort „Alko­hohl“ so ziem­lich zum pein­lichs­ten gehö­ren dürf­te, was einer Pres­se­stel­le pas­sie­ren kann: Der gan­ze Beschluss wird natür­lich auch nur dafür sor­gen, dass die Jugend­li­chen ihrem Hob­by nun nicht mehr im Stadt­park, son­dern an ande­ren Orten frö­nen. Und im ange­trun­ke­nen Zustand von der Innen­stadt-Knei­pe nach hau­se zu kom­men, ohne die zen­tra­le Park­an­la­ge zu betre­ten, dürf­te vie­le auch vor logis­ti­sche Schwie­rig­kei­ten stel­len. Ich möch­te dar­über­hin­aus zu einem Ideen­wett­be­werb „Die schöns­ten Unar­ten, die Rück­sicht auf Mit­bür­ger ver­mis­sen las­sen“ auf­ru­fen.

Aber bei allem (mög­li­cher­wei­se reich­lich nai­vem) Ver­trau­en in die Jugend und bei aller Ableh­nung gegen­über den apo­ka­lyp­ti­schen Phan­ta­sien von Men­schen, die Jugend­kul­tur nur vom Weg­drü­cken im Fern­se­hen ken­nen: Die letz­ten Tage haben mich nach­denk­lich zurück­ge­las­sen.

  • Am Frei­tag fuhr ich in einem Regio­nal­ex­press, in dem auch zwei jun­ge Damen von viel­leicht fünf­zehn Len­zen abwech­selnd gemein­sam für MySpace-Pro­fil­fo­tos posier­ten – der einen fiel zwi­schen­durch ihre (beklei­de­te) Ober­wei­te aus dem Hemd – und bil­li­gen Tof­fee-Likör und Schnäp­se in sich hin­ein­schüt­te­ten. Kurz vor dem Duis­bur­ger Haupt­bahn­hof war das eine Gör nach eige­nen Anga­ben so weit, dass sie „gleich kot­zen“ müs­se und ich war froh, als die bei­den aus­stie­gen.
  • Heu­te saß ich in der Bochu­mer U‑Bahn und in der Sitz­grup­pe neben mir saß ein Mäd­chen, das gera­de mit einem Feu­er­zeug dabei war, die Innen­ver­klei­dung des Zugs abzu­fläm­men. Ich glotz­te, sah mich hil­fe­su­chend nach Erwach­se­nen um und begriff dann, dass ich end­lich alt genug war, die Rol­le des son­der­li­chen alten Man­nes zu ein­zu­neh­men: „Was soll das wer­den, wenn’s fer­tig ist?“, frag­te ich denk­bar unau­to­ri­tär. Das Kind setz­te kurz ab und schmor­te dann wei­ter mun­ter vor sich hin. „Kannst Du das bit­te las­sen?“, setz­te ich nach und guck­te unsi­cher, ob die Leu­te schon über mich tuschel­ten. „Mit wem reden Sie?“, mur­mel­te das ver­zo­ge­ne Blag, ohne mich auch nur anzu­se­hen. „Mit Dir“, blaff­te ich zurück, ehe wir bei­de aus­stie­gen. Immer­hin: Genug Auto­ri­tät für ein „Sie“ gestand mir der Satans­bra­ten zu.
  • Als ich dann von der Uni nach Hau­se ging, stan­den an den Müll­con­tai­nern des Nach­bar­hau­ses zwei etwa zwölf­jäh­ri­ge Jun­gen und ein bedeu­tend jün­ge­rer. Die älte­ren hiel­ten Ziga­ret­ten in ihren Hän­den und paff­ten die­se so denk­bar uncool, wie es nur Schü­ler kön­nen, die end­lich mal was ver­bo­te­nes aus­pro­bie­ren wol­len. Ich guck­te kurz, ob sie dem klei­nen Jun­gen („Ja, Kevin, Du darfst raus, aber nimm bit­te den Patrick mit!“) auch eine Ziga­ret­te gege­ben hat­ten. Sie hat­ten nicht und ich schritt fort.

Und jetzt fragt der auf­merk­sa­me Leser: „Wie­so haben Sie denn das unschul­di­ge Mäd­chen, das nur eine Ver­schö­ne­rung der häss­li­chen U‑Bahn vor­neh­men woll­te, so denk­bar schroff behan­delt, nicht aber die bei­den Grup­pen zukünf­ti­ger Rausch­gift­ab­hän­gi­ger?“

„Tja“, wer­de ich ant­wor­ten, „Sach­be­schä­di­gung gehört für mich nicht zu den Din­gen, die man als Jugend­li­cher mal aus­pro­biert haben soll­te, um sei­nen Kör­per bes­ser ken­nen zu ler­nen. Und was mit den Lebern und Lun­gen der ande­ren ist, kann uns in dem Moment doch reich­lich egal sein.“

„Na, das ist aber eine ziem­lich ego­is­ti­sche Ein­stel­lung.“

Stimmt.