20:00 Uhr
Lukas: Hallihallo und herzlich Willkommen im schönsten Betonbunker östlich des Berliner ICCs. Weil mir mein Arzt davon abgeraten hat, deutsche Preisverleihungen ohne seelischen Beistand anzusehen, habe ich mir ein bisschen Verstärkung geholt und werde während des Abends auch noch die ein oder andere Liveschalte versuchen. Zunächst aber begrüße ich meine charmante Co-Bloggerin Kathrin. Hallo Kathrin!
Kathrin: Hallo Lukas!
Schlagwort: musikindustrie
Programmhinweis
Am Freitag wird das verliehen, was die Deutsche Phono-Akademie immer wieder “einen der wichtigsten Musikpreise der Welt” nennt: der Echo. Es wird wieder eine krampfhaft lockere Nabelschau mit diversen großen und kleinen Peinlichkeiten werden, dafür sorgen schon die bekannten Musikjournalisten Oliver Geißen und Nazan Eckes, die durch den Abend führen werden. Und da geteiltes Leid halbes Leid ist, werden wir, also Sie und ich, diesen Abend gemeinsam verbringen – wenn Sie wollen:
Liveblog Echo 2008
am Freitag, 15. Februar 2008
ab 20:00 Uhr
bei coffeeandtv.de
Die Nominierten (in Gottseidank nur 24 Kategorien, wir sind ja nicht bei den Grammies) entnehmen Sie bitte dieser Seite. Ich habe das Verfahren, nach dem die Nominierten und Preisträger bestimmt werden, bis heute nicht verstanden und kenne auch wieder maximal die Hälfte, was aber die denkbar besten Voraussetzungen für einen Abend voller Überraschungen sein dürften.
Scheitern als Chance
Da schreibe ich gestern noch über die Musikindustrie und die tolle Idee, zahlenden Kunden funktionslose “Tonträger” zu verkaufen, und was mache ich quasi zeitgleich? Gehe zu Saturn und kaufe an einer idiotischen SB-Kasse eine CD mit Kopierschutz.
Das allerdings fiel mir erst auf, als ich die CD zum Anhören in den heimischen Computer schob: iTunes wollte die Scheibe in keinem der beiden Laufwerke wiedergeben und nicht mal Windows konnte das Ding erkennen. Das ist für ein Endanwender-Produkt neuer Rekord, bisher kannte ich derartigen Digitalmüll nur als Rezensionsexemplare für die schwerkriminellen Musikjournalisten. Das Kopierschutz-Logo war übrigens erstaunlich gut getarnt, die CD “The Singles” von Basement Jaxx aus dem Jahr 2005 (was den Kopierschutz im Nachhinein erklärt). Da an eine gemeinsame Zukunft aus naheliegenden Gründen nicht zu denken war, schleppte ich die CD zurück zu Saturn.
An der Infotheke im Erdgeschoss musste ich nur drei Minuten warten, dann füllte die (wirklich freundliche) Dame einen “Mitbringschein” aus, kopierte meinen Kassenbon von gestern und schickte mich an die Information der CD-Abteilung im zweiten Stock.
Die dortige Information, an der ich zunächst vorsprach, war die falsche, man schickte mich zu einer weiteren am anderen Ende des Gebäudes. Dort trug ich mein Anliegen ein drittes Mal vor:
Ich: “Guten Tag, ich habe gestern diese CD gekauft. Da ist ein Kopierschutz drauf und ich kann sie nicht hören!”
Typ: “Auf dem Computer …”
Ich: “Äh, ja.”
Typ: “Das steht da aber auch drauf, nicht?”
Ich: “Oh Gott, Sie wollen doch auch nicht, dass ich hinterher im Blog so Sachen wie ‘meine Halsschlagader schwoll an’ oder ‘dürfte ich bitte Ihren Vorgesetzten sprechen’ schreiben muss, oder? Ich habe ein paar Dutzend CDs zuhause, auf denen Kopierschutzlogos drauf sind. Bisher konnte ich jede einzelne davon hören – und auf einigen war noch nicht mal wirklich ein Kopierschutz drauf.”
Typ: (murmelt unverständlich)
Im Folgenden wurde ich gebeten, meinen Namen und meine Anschrift zu nennen. Ich war natürlich viel zu verwirrt, irgendwelchen Blödsinn zu erzählen, und wusste auch nicht, ob mir das Geld nicht vielleicht bar per Post zugestellt werden sollte. Wurde es aber nicht: Es wurde ein weiteres Blatt Papier bedruckt (der Laden muss eine beeindruckende Öko-Bilanz haben) und mir mit den Worten “Damit gehen Sie jetzt wieder zur Kasse und kriegen Ihr Geld!”, in die Hand gedrückt wurde.
Noch einmal kurz zum Mitschreiben: Um einen Tonträger umzutauschen, der die Töne zwar tragen mag, aber nicht mehr hergeben will, musste ich bei drei Personen (vier, wenn man die falsche Info-Theke mitzählt, was ich gerne mache, denn die war ja nicht mein Fehler) auf zwei Etagen vorsprechen und bekam nach nur einer Viertelstunde meine 8,99 Euro zurück.
Und jetzt will ich keine Argumente für die CD mehr hören. Die Zukunft gehört der MP3!
Der Anfang vom endgültigen Ende
Cunts are still running the world”
(Jarvis Cocker – Running The World)
Vorgestern verkündete der angeschlagene Musikkonzern EMI, er werde weltweit zwischen 1500 und 2000 Stellen streichen und damit wohl ein Drittel seiner Angestellten feuern. Der private–equity-Konzern Terra Firma, der das Traditionsunternehmen im vergangenen Sommer übernommen hatte, will aus EMI binnen kurzer Zeit ein profitables Unternehmen machen.
Das allein klingt schon mal nach einer ziemlich dämlichen Idee, denn jedes Kind weiß, dass Plattenfirmen so ziemlich die schlechteste Wahl sind, wenn man auf schnelles Geld aus ist. Oder überhaupt auf Geld. Man könnte sich genauso gut in eine Fabrik für elektrische Schreibmaschinen oder in einen Zeitungsverlag einkaufen.
Das Beispiel EMI zeigt was passiert, wenn global player nicht mehr von weltfremden Trotteln, sondern von geldgeilen Volltrotteln geführt werden: Die Musiker, meinen laienhaften Wirtschaftsvorstellungen zufolge nicht unbedingt der unwichtigste Teil eines Musikkonzerns, waren nämlich mit den Ansagen der neuen Chefs (viele Kreative reagieren beispielsweise auf Zeitdruck allergisch) gar nicht gut zu sprechen und kündigten eine Art Veröffentlichungsboykott an. Robbie Williams, Coldplay und die wiedervereinigten The Verve wollen angeblich erst mal nichts mehr rausbringen, mit Paul McCartney, Radiohead und jetzt wohl auch den Rolling Stones haben Künstler, die teils über mehrere Jahrzehnte Zugpferde bei EMI waren, dem Konzern den Rücken gekehrt oder dies angekündigt. Und egal, ob die Verträger einen Musiker-Streik wirklich zulassen und ob aus den Resten der EMI wirklich ein profitabler Konzern werden kann: Ich glaube, wir erleben damit das letzte Kapitel der Musikindustrie im alten Sinne und es wird ein Ende mit Schrecken.
Es ist fast acht Jahre her, dass Metallica-Drummer Lars Ulrich dem US-Senat vorheulte, dass die Musik seiner Band bei Napster aufgetaucht sei. Die Politik reagierte auf dieses völlig neuartige Phänomen mit immer neuen Gesetzen, die es nun auch in Deutschland wieder verlockender erscheinen lassen, CDs direkt im Laden zu klauen anstatt sie illegal herunterzuladen. Die Musikkonzerne reagierten unter anderem damit, dass sie ihren verbliebenen zahlenden Kunden High-Tech-Müll verkauften, der auf vielen Abspielgeräten nicht lief (besonders lustig beim Musikkonzern und Elektronikhersteller Sony) oder die Computer-Sicherheit des Käufers gefährdeten. Später versuchten sie, den Wert von Musik dadurch zu vermitteln, dass sie einsame CDs ohne Booklet (BMG, inzwischen heimlich, still und leise wieder vom Markt verschwunden) oder in billigen Pappschubern (Universal) zu vermeintlichen “Sonderpreisen” auf den Markt warfen.
Zugegeben: Auch ich habe keinen brillanten Plan, wie man auf die fehlende Bereitschaft eines Teils (möglicherweise sogar tatsächlich eines Großteils) der Bevölkerung, für die ständige Verfügbarkeit von Musik Geld zu zahlen, reagieren sollte. Womöglich würde ich nicht mit der Beleidigung und Schikanierung der Rest-Kundschaft beginnen. Aber ich bin auch nicht die Musikindustrie, ich muss gar keinen brillanten Plan haben.
Vielleicht ist das Wort “Musikindustrie” alleine (Prof. Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Phono-Akademie, spricht sogar von “Kreativwirtschaft”) schon ein Irrtum, ein schreckliches Missverständnis. Musik ist (wie Film, Literatur, Theater, bildende Kunst) in erster Linie Kunst und somit weder unter “Industrie” noch unter “Wirtschaft” einzusortieren. Die Tatsache, dass Großkonzerne ein paar Jahrzehnte gut von der Vermarktung dieser Kunst leben konnten, ist historisch betrachtet eine Ausnahme, eine Art Versehen. Beethoven, van Gogh und Goethe haben ihre Kunst nicht geschaffen, um damit irgendwelchen Unternehmern zu Geld und Ruhm zu verhelfen – im Falle von van Gogh hat es zu Lebzeiten nicht mal zu eigenem Geld und Ruhm gereicht.
Natürlich soll das im Umkehrschluss nicht heißen, dass alle Künstler hungern und verarmt sterben sollen. Selbst über die Frage, ob ein Künstler wie Robbie Williams einen 120-Millionen-Euro-Vertrag wert sein sollte, lässt sich noch diskutieren – zumindest, wenn die Plattenfirma durch die Vermarktung von dessen Musik ein Vielfaches einnimmt. Ich glaube aber, dass es eine irrige Idee ist, mit der Vermarktung von Kunst auch noch jedes Jahr fette Rendite erwirtschaften zu können. Theater und Museen werden subventioniert, es gibt die Buchpreisbindung und die Filmförderung – was sagt uns das über die Wirtschaftlichkeit von Kultur, Stichwort “Kreativwirtschaft”?
Einer der Grundsätze von Wirtschaft ist die Sache mit Angebot und Nachfrage. Was aber tun, wenn die Nachfrage nach kostenpflichtiger Musik wirklich nachlässt? Es wäre eine Möglichkeit, das Konzept “Songs gegen Kohle” zu beerdigen, aber das muss vielleicht nicht mal sein. Eine neue Idee aber braucht es: Einerseits wäre es wünschenswert, jungen Menschen, die fünf Euro für einen Becher Kaffee mit Geschmack zahlen, klar zu machen, dass auch das Erdenken, Einspielen, Produzieren und Veröffentlichen von Musik harte Arbeit ist, andererseits erscheint es mir einigermaßen begreiflich, dass kein normaler Mensch 18 Euro für eine aktuelle CD zahlen will, wenn diese vor ein paar Jahren noch 15 Euro gekostet hätte. Ich mag CDs wirklich – ich mag es, das Booklet durchzublättern und die Scheibe selbst in den Händen zu halten -, aber die Differenz von bis zu acht Euro zum legalen Download lässt mich immer häufiger zum Download schwenken – zumal ich mir da die oftmals erfolglose Suche bei “Saturn” sparen und die Musik sofort hören kann.
Ich könnte grundsätzlich werden, ein fehlgeleitetes Wirtschaftssystem geißeln und das Fass mit dem Grundeinkommen aufmachen. Das sollte nicht aus den Augen gelassen werden, hilft aber im Moment auch nicht weiter. Im Moment droht 2000 Menschen die Arbeitslosigkeit, die selbst bei dem Versuch, Künstler wie Lisa Bund oder Revolverheld an den Mann zu bringen, noch Engagement zeigen: die Ansprechpartner bei den Plattenfirmen für Presse und Künstler, die schon in der Vergangenheit so häufig wechselten wie sonst nur beim Speed Dating. Die einfachen Mitarbeiter, die bei Meetings auf Kaffee und Gebäck verzichten müssen, während die Manager in der Business Class um die Welt jetten und überall zeigen, wie wenig Ideen sie selbst noch haben. Und natürlich geht es auch weniger um die Zukunft von Robbie Williams und den Rolling Stones, als vielmehr um die Chancen möglicher Nachwuchsstars.
Dabei wird aber übersehen, dass der hochdotierte Major-Vertrag, der lebenslangen Reichtum garantiert, längst schon Ausnahme statt Regel ist – vor allem aber ist er kein Muss mehr. Das Internet bietet so viele Möglichkeiten, Hörer (und damit potentielle Käufer und Fans) zu finden, aber auch um die Vermarktung selbst in die Hand zu nehmen. Zwar gehen Kreativität und Marketing- oder gar Finanzgeschick selten Hand in Hand, aber das wird sich auch noch finden. Das nächste oder übernächste “Internetphänomen” (und damit der Nachfolger von den Arctic Monkeys und Lily Allen) wird seine Musik vielleicht gar nicht mehr bei einer regulären Plattenfirma und auf CD herausbringen.
Ich jedenfalls würde den Musikern, deren Werk ich schätze, meine finanzielle Anerkennung gerne direkt zukommen lassen. Ich war durchaus noch bereit, mit dem Kauf einer Coldplay-CD zur Gegenfinanzierung kleinerer Bands beizutragen. Aber ich habe wenig Bock, irgendwelchen geldgeilen, menschen- und kulturverachtenden hedge–fonds-Teilhabern bei der Aufbesserung ihrer Rendite zu helfen.
Klickbefehl (6): Gegen den Strich
Doch nach Jahren des Niedergangs herrscht Aufbruchstimmung. Verlage und Konzertveranstalter boomen. Bei den kleineren Plattenfirmen gab es noch nie so viele Neugründungen. Und selbst unter den großen Musikkonzernen von Universal bis Warner Music macht sich neue Hoffnung breit. „Wir beenden das beste Jahr seit bestimmt sieben Jahren“, sagt Edgar Berger, Deutschland-Chef von Sony-BMG.
Von wegen verhungernde Manager: Das Handelsblatt berichtet über das “Comeback der Musikindustrie”.
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Wenigstens braucht man sich in Hessen vorerst keine Sorgen um eine starke NPD zu machen. Denn Ausländerhetze übernimmt der Ministerpräsident persönlich. Und wenn er dann wiedergewählt ist, zeigt sich Roland Koch sicher wieder gerne mit dem Dalai Lama oder bei der Verleihung des hessischen Friedenspreises.
Steffen Jenter kommentiert bei tagesschau.de die jüngsten Forderungen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, kriminelle Ausländer schneller abzuschieben. [via Pottblog]
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Schlimmer ist aber noch, dass die Polizei einfach unterstellt, alle Personen, die den Link angeklickt hätten, seien darauf über das angeblich kinderpornografische Portal gekommen. Dass der Link – mit vielleicht irreführenden oder gar keinen Inhaltsangaben, zum Beispiel über eine der unzähligen Linklisten, in anderen Boards oder als Spam-Mail – auch anderweitig verbreitet worden sein könnte, liegt außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Oder sie blendet es aus.
Udo Vetter berichtet im Lawblog, wie schnell man Opfer polizeilicher Ermittlungen werden kann – alles im Namen einer eigentlich guten Sache, dem Kampf gegen Kinderpornographie.
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„Und? Wie fandest Du’s?“
„Ich weiß nicht. Ein bißchen mulmig wars mir schon. Das ist ne ganz andere Welt.“
„Ganz anders. Genauso anders wie katholische Kirchen, CSU-Parteitage oder Tupperwarenparty-Jahreshauptversammlungen.“
Frédéric macht im Spreeblick eine kleine Moscheen-Besichtigungstour.
Ich mag Musik, wirklich. Ich mag Musik so sehr, dass ich jedes Jahr ein Heidengeld für Tonträger und Konzerte ausgebe. Gerne würde ich den Musikern das Geld, das sie meiner Meinung nach dafür verdient haben, dass sie schöne wie traurige Momente meines Lebens untermalen, selbst in die Hand drücken. Aber zwischen die Musiker und mich hat irgendjemand die Musikindustrie gesetzt.
Die Musikindustrie mag die Menschen, von denen sie ihr Geld bekommt und die man anderswo “Kunden” nennt, nicht so sehr. Sie kriminalisiert sie, sie will sie ausspionieren und sie will ihre Wohnungen verschandeln.
Im vergangenen Jahr kamen EMI und Universal in Europa auf die absurde Idee, Tonträger nicht mehr wie bisher in diesen eckigen Plastikhüllen, den sogenannten Jewel Cases, auszuliefern, sondern dafür Hüllen mit abgerundeten Ecken zu nehmen, die Super Jewel Boxes. Diese sollen angeblich stabiler sein, haben aber den Nachteil, dass man nicht vernünftig an das Booklet herankommt, dass man die Hüllen nicht so leicht ersetzen kann, wenn sie doch mal kaputt gehen, und dass sie vor allem ziemlich dämlich aussehen.
Im Regal wird die durchgehende Kante, die alle nebeneinander stehenden CD-Hüllen sonst bildeten, plötzlich unschön unterbrochen von den neuen Hüllen, die mit ihren Rundungen aussehen wie Kinderspielzeug für Dreijährige.
Das war mir bisher alles relativ egal, denn bei CD Wow kann man die internationalen Versionen der CDs kaufen. Zu Zeiten des sogenannten Kopierschutzes, der auf meinen Geräten immer ein Abspielschutz war, bekam man dort echte CDs, die man sogar hören konnte, später dann weiterhin CDs in eckigen Hüllen. “Bekam”, denn heute kam die erste Lieferung von CD Wow mit runden Ecken.
Wo Sie grad “Don’t judge a book by its cover” sagen: Auch auf dem Buchmarkt gibt es schlechte Nachrichten. Nachdem man uns jahrelang mit extrem edlen, matten Taschenbuchcovern beglückt hatte, schwenken nun die ersten Verlage wieder zu den extrem billig aussehenden, Fingerabdruckfreundlichen Einbänden in Hochglanzoptik zurück.
In was für einer Welt leben wir eigentlich, wo schon die Mitarbeiter der Kulturindustrie jedwedes ästhetisches Gespür vermissen lassen?????ß
Die wenigsten Jugendlichen, die heute Musik hören (und das sind laut neuesten Umfragen 98% der Europäer), werden wissen, welches Jubiläum dieser Tage begangen wird: Vor 25 Jahren schloss SonyUniversal, die letzte Plattenfirma der Welt, ihre Pforten. Ein Rückblick.
Es war ein wichtiger Tag für Deutschland, als der Bundestag der Musikindustrie im Jahr 2009 das Recht einräumte, sogenannte “Terrorkopierer” (die Älteren werden sich vielleicht auch noch an den archaischen Begriff “Raubkopierer” erinnern) selbst zu verfolgen und bestrafen. Als unmittelbare Folge mussten neue Gefängnisse gebaut werden, da die alten staatlichen Zuchthäuser dem Ansturm neuer Insassen nicht Herr werden konnten. Dies war die Geburtsstunde der Prisonia AG, dem Konsortium von Bau- und Musikindustrie und heute wichtigstem Unternehmen im EuAX. Die Wiedereinführung der Todesstrafe scheiterte im Jahr darauf nur am Veto von Bundespräsident Fischer – die große Koalition aus FDP, Linkspartei und Grünen hatte das Gesetz gegen die Stimmen der Piratenpartei, damals einzige Oppositionspartei im Bundestag, verabschiedet.
Im Jahr 2011 fuhr der frisch fusionierte Major WarnerEMI den höchsten Gewinn ein, den je ein Unterhaltungskonzern erwirtschaftet hatte. Kritiker wiesen schon damals darauf hin, dass dies vor allem auf die völlige Abschaffung von Steuern für die Musikindustrie und die Tatsache zurückzuführen sei, dass die sogenannten “Klingeltöne”, kleine Musikfragmente auf den damals so beliebten “Mobiltelefonen”, für jede Wiedergabe extra bezahlt werden mussten – eine Praxis, die WarnerEMI zwei Jahre später auch für seine MP5-Dateien einführte.
Die Anzeichen für einen Stimmungsumschwung verdichteten sich, wurden aber von den Unternehmen ignoriert: Der erfolgreichste Solo-Künstler jener Tage, Justin Timberlake, veröffentlichte seine Alben ab 2010 ausschließlich als kostenlose Downloads im Internet und als Deluxe-Vinyl-Versionen im “Apple Retro Store”. Heute fast vergessene Musiker wie Madonna, Robbie Williams oder die Band Coldplay folgten seinem Vorbild. Hohn und Spott gab es in allen Medien für den damaligen CEO von WarnerEMI, als der in einem Interview mit dem Blog “FAZ.net” hatte zugeben müssen, die Beatles nicht zu kennen.
Diese öffentliche Häme führte zu einem umfassenden Presseboykott der Musikkonzerne. Renommierte Musikmagazine in Deutschland und der ganzen Welt mussten schließen, Musikjournalisten, die nicht wie die Redakteure des deutschen “Rolling Stone” direkt in Rente – wie man es damals nannte – gehen konnten, gründeten eine Bürgerrechtsbewegung, die schnell verboten wurde. Die Lunte aber war entfacht.
Im Herbst 2012 kündigte Prof. Dieter Gorny, damals Vorsitzender der “Konsum-Agentur für Runde Tonträger, Elektrische Lieder und Lichtspiele” (K.A.R.T.E.L.L.), seine Kanzlerkandidatur an, worüber der damalige Bundeskanzler Guido Westerwelle alles andere als erfreut war. Er setzte neue Kommissionen für Medien- und Kulturindustrie ein und kündigte eine mögliche Zerschlagung der Musikkonzerne an. Diese fusionierten daraufhin in einer “freundlichen feindlichen Übernahme” am Europäischen Kartellamt vorbei zum Konzern SonyUniversalEMI und drohten mit einer Abwanderung in die Mongolei und damit dem Verlust der restlichen 300 Arbeitsplätze.
Aber weder Kanzler Westerwelle noch das deutsche Volk ließen sich erpressen: Zum 1. Januar 2013 musste MTViva den Sendebetrieb einstellen. Die neugegründete Bundesmedienaufsicht unter Führung des parteilosen Stefan Niggemeier hatte dem Fernsehsender, der als sogenannter Musikkanal galt, die Sendelizenz entzogen, da dieser weniger als die gesetzlich geforderten drei Musikvideos täglich gespielt hatte. Die Castingshow “Europa sucht den Superstar” erwies sich für SonyUniversalEMI als überraschender Mega-Flop, der Wert des Unternehmens brach um ein Drittel ein, das “EMI” verschwand aus dem Namen.
Im Berliner Untergrund gründete sich die Deutsche (heute: Europäische) Musicantengilde. Deren heutiger Ehrenvorsitzende Thees Uhlmann erinnert sich: “Es war ja damals schon so, dass die kleinen Bands ihr Geld ausschließlich über Konzerte machen konnten, die ja dann auch noch verboten werden sollten. Erst haben wir unsere CDs ja selbst rausgebracht, aber als die Musikkonzerne dann die Herstellung von CDs außerhalb ihrer Fabriken unter Strafe stellen ließen, mussten wir auf Kassetten ausweichen.” Heute kaum vorstellbar: Das Magnetband galt damals als so gut wie ausgestorben, nur die kleine Manufaktur “Telefunken” produzierte überhaupt noch Abspielgeräte, die entsprechend heiß begehrt waren.
Am 29. November 2013, heute vor 25 Jahren, war es dann soweit: Der Volkszorn entlud sich vor der SonyUniversal-Zentrale am Berliner Reichstagsufer. Das Medienmagazin “Coffee & TV” hatte kurz zuvor aufgedeckt, dass die Musikindustrie jahrelang hochrangige Mitarbeiter gedeckt hatte, die durch “Terrorkopieren” aufgefallen waren. Während der normale Bürger für solche Verbrechen bis zu sechs Jahre ins Gefängnis musste, waren die Manager und Promoter straffrei ausgegangen. Als nun die Mutter des dreijährigen Timmie zu einem halben Jahr Arbeitsdienst verurteilt werden sollte, weil sie ihrem Sohn ein Schlaflied vorgesungen hatte, ohne die dafür fälligen Lizenzgebühren von 1.800 Euro zahlen zu können, zogen die Bürger mit Fackeln und selbst gebastelten Galgen zum “Dieter-Bohlen-Haus” am Spreebogen.
Das Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder, dann zog der Mob unter den Augen von Feuerwehr und Polizei weiter zur Zentrale der “GEMA” am Kurfürstendamm (der heutigen Toyota-Allee). Wie durch ein Wunder wurde an diesem Tag niemand ernstlich verletzt. Die meisten Führer der Musikindustrie konnten ins nordkoreanische Exil fliehen, den “kleinen Fischen” wurde Straffreiheit zugesichert, wenn sie ein Berufsverbot akzeptierten und einer dreijährigen Therapie zustimmten.
Drei Tage später fand im Berliner Tiergarten ein großes Konzert statt, die erste öffentliche Musikaufführung in Europa seit vier Jahren. Die Kilians, heute Rocklegenden, damals noch junge Männer, spielten vor zwei Millionen Zuhörern, während die Bilder von gestürzten Dieter-Gorny-Statuen um die Welt gingen.
Erinnern Sie sich an Max Buskohl?
Okay, das ist eine gemeine Frage. In der schnelllebigen Zeit von TV-Castingshows weiß ja schon niemand mehr, wer vor einem halben Jahr bei “Deutschland sucht den Superstar” gewonnen hat – geschweige denn, wer drei Wochen zuvor aus der Sendung ausgestiegen war.
Andererseits war die Max-Buskohl-Geschichte so uninteressant ja nicht: Immerhin schmiss der junge Mann im April angeblich hin, weil er einen Plattenvertrag für seine gesamte Band haben wollte, woraufhin ihn Stefan Raab zu “TV Total” einlud, was aber aus vertraglichen Gründen nicht ging, weswegen Raab erst umstrittene Grafiken einblendete und dann einen eigenen Talentwettbewerb ins Leben rief, der zur Zeit läuft und musikalisch interessanter ist als alle bisherigen “DSDS”-Staffeln zusammen.
Doch zurück zu Max Buskohl: Dessen Band Empty Trash, für die er damals angeblich einen Plattenvertrag haben wollte, hat natürlich sofort einen gekriegt – bei Capitol Racords, einer Tochter von EMI, dem schärfsten Konkurrenten der “DSDS”-Plattenfirma SonyBMG.
Vergangene Woche erschien die erste Single “Limited” und da wollen wir doch erst einmal kurz reinhören:
Lachen Sie jetzt mal nicht über das Video: Verglichen mit den doch sehr Schülerband-mäßigen Songs, die Empty Trash vor ihrem Signing auf ihrer Website hatten, ist das musikalisch eine ziemliche Weiterentwicklung. Der Schwede Patrick Berger, der das Album mit Buskohls Vater Carl Carlton produziert hat, mag vielleicht ein bisschen viel Placebo und The Killers gehört haben, bevor er am Mischpult Platz nahm (die Plattenfirma möchte besonders darauf hinweisen, dass die Single von Pelle Gunnarfeldt abgemischt wurde, der sonst für The Hives, The (International) Noise Conspiracy und Last Days Of April arbeitet – doof nur, dass der Mann Gunnerfeldt heißt), aber die Strophen haben schon einen durchaus netten Zug nach vorne. Schade, dass sie in einen derart H-Blockx-mäßigen Brüll-Refrain münden.
Lange Rede, kurzer Sinn: Von allen Ex-Castingshow-Kandidaten Deutschlands ist Max Buskohl mit seiner Band Empty Trash mit Sicherheit der vielversprechendste. Solch ein Lob erinnert natürlich erst mal an den Einäugigen, der unter den Blinden König ist, aber vielleicht geht da ja wirklich noch was mit dem Album, das nächste Woche erscheint. Auch wenn Sound und Artwork wieder mal völlig konservativ alternative sind: Mir ist es in jedem Fall lieber, wenn die Kinder und Jugendlichen sich sowas anhören als eine weitere von Dieter Bohlen geschriebene Powerschnulze.
P.S.: Machen Sie doch mit beim lustigen “Limited”-Puzzle. Ich hab schon beinahe alle Placebo-Songs und Teile von “Leaving New York” von R.E.M. wiederentdeckt.
Britpop 2.0
The Verve haben sich acht Jahre nach ihrer Auflösung wieder zusammengefunden, um gemeinsam auf Tour zu gehen und ein Album einzuspielen.
Gestern veröffentlichten sie bei NME.com einen 14minütigen Mitschnitt der ersten gemeinsamen Jamsession. Zwar sind sie damit nicht die erste Band, bei der man Mäuschen im Proberaum spielen darf, aber eben eine weitere der goldenen Jahre der britischen Rockmusik, die zu ungewöhnlichen Veröffentlichungsmethoden greift.
Radioheads “In Rainbows” entwickelte sich für die Band zu einem schnellen Erfolg, obwohl oder gerade weil man es auch kostenlos legal herunterladen kann. Sofort tauchten Gerüchte auf, auch Oasis und Jamiroquai – ebenfalls Bands, denen es nicht mehr auf jeden Penny ankommen dürfte – würden mit ihren neuen Alben nachziehen. Die neue Charlatans-Single kann man seit gestern kostenlos beim Radiosender XFM herunterladen, das komplette Album soll im nächsten Jahr folgen.
So langsam stellt sich da natürlich auch die Frage, wie lange solche Aktionen eigentlich noch etwas besonderes sein werden. Weniger in dem Sinne, dass derartige Downloads bald die CD ersetzt haben werden (das kann ich mir bei aller Unfähigkeit der Musikindustrie nur schwer vorstellen), als vielmehr so, dass die Downloadangebote inflationär werden und schon bald keinen mehr interessieren.
The Verve in allen Ehren1, aber Proberaummitschnitte landeten früher auf obskuren Bootlegs, B-Seiten, Anthologien oder Hidden Tracks. Fans mussten lange nach solchen Sachen suchen, heute bekommt man sie einfach geschenkt. Die Hardcore-Fans werden sich auch darüber freuen, aber es wird vielleicht auch Leute geben, die den Standpunkt “Was nix kostet ist auch nix!” vertreten und die geschenkten Tracks dann für irgendwie weniger wertig halten.
Es bleibt jedenfalls spannend.
1 Wenn die nach acht Jahren beim ersten Rumdaddeln so klingen, bin ich mal wirklich auf die eingespielte Band im Studio gespannt.
Am Mittwoch erschien also das neue Radiohead-Album “In Rainbows” als Download. Angeblich hat die Band schon am ersten Tag 1,2 Millionen Alben zu einem durchschnittlichen Preis von 4£ verkauft – und hätte damit knapp sieben Millionen Euro verdient.
Da es noch kein offizielles Artwork gibt, hat visions.de seine Leser zu einem Malwettbewerb aufgerufen – und kam damit zwei Tage zu spät.
Wie auch immer das mit der Musikindustrie weitergehen mag: “In Rainbows” und das Drumherum sind schon jetzt etwas ganz besonderes.
P.S.: Das Album ist gut. Vielleicht schreib ich noch mal mehr dazu.
Radiohead haben weitgehend überraschend angekündigt, ihr neues Album “In Rainbows” bereits in zehn Tagen zu veröffentlichen – zumindest als Download.
Ähnlich wie die Kanadier Stars, die ihr neues Album “In Our Bedroom After The War” auch direkt nach dem Mastering als kostenpflichtigen Download zur Verfügung stellten, wollen wohl auch die Mannen um Thom Yorke so wenigstens ein bisschen an den sowieso frühzeitig einsetzenden Downloads mitverdienen. Der Unterschied: Bei Radiohead kann jeder Downloader selbst entscheiden, wie viel er für das Album bezahlen will.
Moment, das war nicht ganz angemessen formatiert. Nochmal:
Bei Radiohead kann jeder Downloader selbst entscheiden, wie viel er für das Album bezahlen will!!!!!!1
Außerdem kann man eine Discbox des Albums, die am 3. Dezember erscheinen wird, für 40 Pfund bestellen – man erhält das Album dann auf Vinyl und CD und als Download, sowie eine zusätzliche CD mit acht Bonustracks. Eine reguläre Veröffentlichung auf CD (und möglicherweise auch mit einer Plattenfirma im Rücken) ist fürs nächste Frühjahr geplant.
Links:
Die Website zum Album
Eine ausführliche Würdigung im taz-Popblog
Die Meldung beim NME
Eine Vorschau auf das Album anhand von Live-Videos im NME-Blog
Heulen und Zähneklappern
Stellen Sie sich vor, Sie würden von der amerikanischen Musikindustrieorganisation RIAA für die Benutzung von Internet-Tauschbörsen auf Schadenersatz verklagt.
Was wäre schlimmer: die Aussicht auf kostspielige Zahlungen und einen möglichen Gefängnisaufenthalt oder die Pressemeldung, dass Sie unter anderem “My Favorite Mistake” von Sheryl Crow und “Didn’t We Almost Have It All” von Whitney Houston heruntergeladen hätten?