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Im Blick zurück entstehen die Dinge

Es kommt sel­ten genug vor, aber manch­mal, da hört man einen Song zum aller­ers­ten Mal und weiß schon nach drei Tönen, dass man ihn lie­ben wird. „House In The Trees“ ist so ein Song. Gut, dass könn­te dar­an lie­gen, dass das Intro ein biss­chen an „Sky High“ von Ben Folds Five bzw. Hotel Lights erin­nert. Oder dar­an, dass der Refrain vage Erin­ne­run­gen an „Razor Boy“ (Stee­ly Dan) und „Fol­low The Light“ (Tra­vis) wach­ruft. Oder ein­fach dar­an, dass der Song von Andrew McMa­hon, einem mei­ner abso­lu­ten Lieb­lings­mu­si­ker stammt.

Ande­rer­seits war „Zom­bies On Broad­way“, sein letz­tes Album, bei aller Lie­be nur so mit­tel zu ertra­gen gewe­sen: zu pop­pig, zu grad­li­nig, zu chee­sy, zu see­len­los. „Then we went off in dif­fe­rent direc­tions /​ Kept in touch but it never was the same“, singt Andrew jetzt in eben jenem „House In The Trees“ über Freund­schaf­ten, die den Lauf der Zei­ten nicht so gut über­stan­den haben, und ist damit plötz­lich wie­der ganz nah dran an mei­nem Her­zen.

Mit The-War-On-Drugs-mäßi­gen Gitar­ren schraubt sich der Song sei­nem jing­le jang­le Refrain ent­ge­gen und da saß ich dann beim Erst­kon­takt in der nächt­li­chen S‑Bahn und woll­te sofort Ben­ga­los anzün­den:

When the last of your fri­ends have gone
You learn a who­le lot about han­ging on and on
But if you crash and nobo­dy sees
Just remem­ber the­re will always be
A room for you in my house in the trees

Andrew McMahon In The Wilderness - Upside Down Flowers (Albumcover)Das ist zuge­ge­be­ner­ma­ßen nah dran an jener Erbau­ungs­ly­rik, mit der man von deutsch­spra­chi­gen Neo-Schla­ger-Sän­gern in den letz­ten Jah­ren zuge­schis­sen wird. Und dann singt er auch noch stän­dig von frü­her, und ver­sprüht dabei die­se Damals-mit-dem-Bier-an-der-Bus­hal­te­stel­le-Nost­al­gie jener Pop­mu­si­kan­ten um die 30, die sich am bes­ten in der Band der Hei­mat­ver­trie­ben zusam­men­tun soll­ten. Nur: Andy darf das. Er, 36, macht das mit der Musik jetzt sein hal­bes Leben lang, er hat mit Anfang Zwan­zig eine Leuk­ämie-Erkran­kung über­lebt, und er hat mit sei­nen Bands Some­thing Cor­po­ra­te und Jack’s Man­ne­quin so vie­le groß­ar­ti­ge Songs geschaf­fen, dass, wenn ich mir nur die wich­tigs­ten Lied­zei­len täto­wie­ren lie­ße, mei­ne gesam­te Haut auf­ge­braucht wäre.

Eröff­net wird „Upsi­de Down Flowers“ (der Album­ti­tel ist mut­maß­lich eine Ver­nei­gung vor den Hän­gen­den Gär­ten von Ehren­feld – oder so) mit „Teenage Rock­stars“, der offi­zi­el­len Band-Auto­bio­gra­phie unter all den auto­bio­gra­phi­schen Songs des Albums. Andy singt über sei­ne Zeit mit Some­thing Cor­po­ra­te, er könn­te aber ver­mut­lich auch über unge­fähr jede ande­re jun­ge Band sin­gen:

We signed a deal and made some records
Sold out shows and mar­ried young
The money came, we star­ted fight­ing
We par­tied hard and had our fun
We blew off dead­lines
And for­got to call our fri­ends

Das ist, wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, ziem­lich genau die Quint­essenz des­sen, was Bob Geldof in der Toten-Hosen-Doku­men­ta­ti­on „Nichts als die Wahr­heit“ über die grund­sätz­li­chen Pro­ble­me erzählt, die man als Band so hat. Damit ein Album zu eröff­nen ist zumin­dest ent­waff­nend ehr­lich. Und so geht es auch wei­ter: alles sehr per­sön­lich, alles sehr auto­bio­gra­phisch. Das muss man als Hörer*in erst mal aus­hal­ten wol­len.

Beim Sequen­cing, also der Fest­le­gung der Song­rei­hen­fol­ge für ein Album, pas­siert es eher sel­ten, dass in der Mit­te ein Block mit den bes­ten Songs her­vor­ragt, aber genau so ist es hier mit den Tracks 4 bis 8:

„Mon­day Flowers“ dürf­te der ers­te Andrew-McMa­hon-Song über­haupt sein, der ohne Lyri­sches Ich aus­kommt: Er erzählt die Geschich­te einer Frau, die von einer unglück­li­chen Lieb­schaft in die nächs­te stol­pert, wäh­rend sich musi­ka­lisch eine wei­che Soul­de­cke aus­brei­tet, auf der „Bill Withers, mit den Mit­teln wei­ßer Punk­rock-Kids nach­emp­fun­den“ ein­ge­stickt ist.

In „Paper Rain“ träumt ein Pech­vo­gel vom Geld­re­gen, „This Wild Ride“ ist ein Trost-Wal­zer, den man ger­ne mit so vie­len Men­schen tei­len wür­de („Sleep tight /​ The­re are dreams you have not drea­med /​ Doors to worlds unope­ned“) und in „Good­night, Rock And Roll“ ver­neigt sich Andy vor den eige­nen musi­ka­li­schen Hel­den, die bereits gegan­gen sind: „If you find life on Mars, you’­ve got to let us know“.

Und dann eben „House In The Trees“.

Das heißt nicht, dass der Rest Füll­wa­re wäre. Im Gegen­teil: „Upsi­de Down Flowers“ ist viel, viel bes­ser, als ich befürch­tet hat­te. Es ist min­des­tens so gut wie das selbst­be­ti­tel­te ers­te Album als Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness. Auch wenn ich mir mehr als ein­mal gewünscht hät­te, die Musi­ker und der Pro­du­zent Butch Wal­ker (Panic! At The Dis­co, Fall Out Boy, Pete Yorn, Weezer, Avril Lavi­gne, Frank Tur­ner, …) hät­ten mal die Hand­brem­sen gelöst und einen Song auch rich­tig rocken las­sen. Aber gut: Wenigs­tens klingt es nicht mehr nach den Chains­mo­kers.

Der Novem­ber, die Advents­zeit und die Zeit „zwi­schen den Jah­ren“ sind wun­der­ba­re Zeit­punk­te für Bestands­auf­nah­men: Was ist pas­siert, in die­sem Jahr und in mei­nem Leben? Wofür soll­te ich dank­bar sein? Genau in die­ser Stim­mung ist „Upsi­de Down Flowers“ gehal­ten und genau die­se Stim­mung löst es in mir aus. Manch­mal lohnt es sich eben, in Kon­takt zu blei­ben.

Andrew McMa­hon In The Wil­der­ness – Upsi­de Down Flowers
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