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Musik

Wenn es passiert

Ja, das mit den Pod­casts hat nicht geklappt. Das Mikro­fon lief nur am HTC-Smart­phone, aber da funk­tio­nier­te die zuge­hö­ri­ge App plötz­lich nicht mehr. Das tat sie zwar auf dem iPod touch, aber der wei­ger­te sich, das Mikro anzu­er­ken­nen. Die Zukunft liegt im CB-Funk, sag ich Ihnen. Egal …

Jeden­falls hab ich jetzt von jedem Act, den ich gese­hen hab, ein ein­mi­nü­ti­ges Video gedreht, das Sie hier zu sehen bekom­men.

Fes­ti­vals sind wie „Lethal Weapon“-Filme: Das Per­so­nal ist weit­ge­hend gleich, die ein­zel­nen Ver­satz­stü­cke sind bekannt und alle paar Minu­ten sagt jemand, er sei zu alt für die­sen Scheiß. Es flie­gen nur weni­ger Din­ge in die Luft und es wer­den weni­ger Leu­te von Surf­bret­tern ent­haup­tet.

Die wich­tigs­te Nach­richt noch zu Beginn: Das Tra­gen von Jeans­hem­den ist in Deutsch­land offen­bar wie­der straf­frei mög­lich. Ver­mut­lich hat die Bun­des­re­gie­rung ver­schla­fen, das ent­spre­chen­de Gesetz zu ver­län­gern und jetzt haben wir alle den Salat. Schön ist das nicht!

Und nun: Musik!

Yuck

In Hald­ern steht ein Spie­gel­zelt und ich has­se es – wenn ich nicht rein­kom­me. Vor des­sen Ein­lass hat sich eine meh­re­re hun­dert Meter lan­ge Schlan­ge gebil­det, in denen die Men­schen fried­lich und in Zwei­er­rei­hen dar­auf war­ten, noch hin­ein­ge­las­sen zu wer­den. Eini­ger­ma­ßen ver­geb­lich, wie ihnen selbst klar sein muss. Aber die Kon­zer­te von drin­nen wer­den nach drau­ßen in den Bier­gar­ten über­tra­gen und so kön­nen wir alle Yuck aus Lon­don sehen und hören, die neue Shoe­ga­ze-Sen­sa­ti­on. Der ange­nehm schram­me­li­ge Sound ihres selbst­be­ti­tel­ten Debüt­al­bums kommt auch live schön rüber und das Jeans­hemd darf der Sän­ger (der in jedem Bob-Dylan-Bio­pic die Ide­al­be­set­zung wäre) ja wie­der tra­gen.

Julia Mar­cell

Mit ihrer durch­sich­ti­gen Blu­se bringt Julia Mar­cell ein biss­chen ESC-Atmo­sphä­re aufs Hald­ern. Viel­leicht ist es aber auch nur ein Regen­cape, sowas tra­gen hier drau­ßen grad alle. Musi­ka­lisch wäre das stel­len­wei­se auch beim Songcon­test denk­bar, aber mit die­sen Björk-Anlei­hen käme Polen ver­mut­lich nicht ins Fina­le. Julia Mar­cells neu­es Album erscheint auf Hald­ern Pop Recor­dings, das Pro­gramm­heft spricht von „Opu­lenz“, was es wohl ganz gut trifft.

The Avett Brot­hers

Das könn­ten vom Publi­kums­zu­spruch her die nächs­ten Mum­ford & Sons wer­den – nur, dass die Avett Brot­hers schon viel län­ger dabei sind und (zumin­dest zum Teil) wirk­lich Brü­der sind. Bei den dies­jäh­ri­gen Gram­mys haben sie gemein­sam mit Mum­ford & Sons und Bob Dylan per­formt und damit ist ja wohl alles gesagt. Ihr fol­ki­ger Rock mit Blue­grass- und Punk­ein­flüs­sen kommt super an, die Men­schen tan­zen auch drau­ßen im Nie­sel­re­gen, nur der Sound ist lei­der sehr schlecht.

206

In Hald­ern steht ein Spie­gel­zelt und ich lie­be es – wenn ich rein­kom­me. Der Frei­tag beginnt daher mit Punk aus deut­schen Lan­den. Span­nungs­bö­gen sind eher sel­ten, die meis­te Zeit wird durch­ge­knüp­pelt – das aber vir­tu­os. Genau das Rich­ti­ge zum Ein­stieg in einen lan­gen Fes­ti­val­tag, die Tex­te schwan­ken (und das ist ja immer der Nach­teil von deut­schen Tex­ten, dass man sie auch im größ­ten Lärm noch ver­steht) zwi­schen Schü­ler- und Stu­den­ten­band. Ob mir das jetzt auf Plat­te gefie­le, müss­te ich erst mal tes­ten, aber live macht es gro­ßen Spaß, wie man an den strah­len­den Gesich­ter der hüp­fen­den Men­schen (in Hald­ern wird nicht gepogt!) able­sen kann.

John­ny Flynn

Die­sen jun­gen Bri­ten (na gut, er ist älter als ich) hat­te mir eine Freun­din ans Herz gelegt und ich muss sagen: Ja, gut, Mäd­chen­mu­sik halt. Ich habe gera­de kei­ne Män­ner-mit-Gitar­re-Pha­se in mei­nem Leben, ansons­ten ist es nicht völ­lig undenk­bar, dass mir das gefal­len könn­te.

The Ant­lers

Das neue Ant­lers-Album „Burst Apart“ läuft bei mir in der Rubrik „schön, aber naja“. Viel­leicht habe ich ein­fach noch nicht die Zeit gefun­den, mich in die Songs rein­zu­hö­ren. Auch live haut mich das zunächst nicht aus den Gum­mi­stie­feln, aber es stei­gert sich mit jedem Lied. Zum Abschluss gibt es dann ein ordent­li­ches Dröh­nen und ich neh­me mir vor, das Album noch mal in Ruhe zu hören.

Wild Beasts

Ich weiß ehr­lich gesagt nichts über die­se Band und habe auch nicht viel mehr von ihnen gehört als die­se eine Minu­te im Vor­bei­ge­hen. Aber die hat mir außer­or­dent­lich gut gefal­len. Kommt auf mei­nen Merk­zet­tel.

Socal­led

Von Socal­led hat­te ich vor dem Hald­ern noch nie etwas gehört, aber die Wor­te „Hip-Hop“, „Kana­da“ und „Klez­mer“ waren Grund genug, neu­gie­rig ins Spie­gel­zelt zu gehen. Was für eine gran­dio­se Idee, denn Socal­led ist defi­ni­tiv die Ent­de­ckung, wenn nicht gar das High­light des Fes­ti­vals. Eine wüs­te Mischung aus Why?, Dar­win Deez und den Beas­tie Boys (oder so), die auch beim Song Con­test gute Chan­cen hät­te. Das Zelt fei­ert den Mann aus Mont­re­al und sei­ne Band, wie ich es sel­ten erlebt habe. Bit­te kau­fen Sie alle sei­ne Plat­ten, ger­ne auch mehr­fach! (Die neue erscheint im Sep­tem­ber auf Hald­ern Pop Recor­dings.)

Miss Li

Das Pro­gramm­heft erzählt etwas von „Chan­son“ und „flo­cki­gem Pop“, was mich jetzt eher nicht so anspricht – und vor allem nicht vor­be­rei­tet auf das, was da auf der Büh­ne pas­siert: Der Auf­tritt der Schwe­din ist druck­voll, sie hat das Publi­kum voll im Griff, wor­an auch zwei raus­ge­flo­ge­ne Siche­run­gen nichts ändern kön­nen. Musi­ka­lisch wür­de ich sagen: ein biss­chen Amy Wine­house, ein biss­chen Dres­den Dolls. Sehr char­mant, jeden­falls.

Ale­xi Mur­doch

Wer bis­her nicht an Wie­der­ge­burt geglaubt hat, könn­te bei Ale­xi Mur­doch plötz­lich sei­ne Mei­nung ändern, denn wer, wenn nicht Nick Dra­ke, soll­te hier zurück­ge­kom­men sein? Mur­doch ist vor allem bekannt durch diver­se Sound­track­bei­trä­ge („Oran­ge Sky“ in „Gar­den Sta­te“ und „O.C., Cali­for­nia“, der kom­plet­te Sound­track zu „Away We Go“ von Sam Men­des), wobei „bekannt“ hier viel­leicht rela­tiv ist. Der Ton im Spie­gel­zelt ist viel zu lei­se, zumal par­al­lel Okker­vil River auf der Haupt­büh­ne spie­len (dass die so laut sind kam zumin­dest für mich über­ra­schend). Im Bier­gar­ten ist Mur­doch selbst dann zwar lau­ter, aber die rich­tig opti­ma­le Kon­zert­si­tua­ti­on ist das immer noch nicht. Egal: Wun­der­schön, ich habe Gän­se­haut, obwohl ich gera­de wie gesagt kei­ne beson­de­re Män­ner-mit-Gitar­re-Pha­se habe. Es ist ein biss­chen wie letz­tes Jahr bei The Low Anthem. Als jemand „Oran­ge Sky“ ein­for­dert, sagt Mur­doch, das wer­de er heu­te nicht spie­len. Auch egal. Defi­ni­tiv einer der Höhe­punk­te des dies­jäh­ri­gen Fes­ti­vals.

The Wom­bats

So lang­sam müs­sen die Wom­bats auch mit dem Schick­sal hadern: Erst das phan­tas­ti­sche „Tokyo (Vam­pi­res & Wol­ves)“, das seit dem 11. März einen gewis­sen Bei­geschmack hat, jetzt die Zei­len „East London’s not a bomb site /​ It is a tre­asu­re chest“ aus „Tech­no Fan“, die Sän­ger Matt Mur­phy als „ent­we­der sehr pro­phe­tisch oder sehr däm­lich“ bezeich­net. Aber was soll man machen? Die Wom­bats spie­len ein­fach ihre Songs run­ter und das ist genau das Rich­ti­ge nach Ale­xi Mur­doch, so wie Sekt nach einem guten Glas Rot­wein. Das Kon­zert macht noch mehr Spaß als im April in der Live Music Hall, aber da war das tol­le neue Album „This Modern Glitch“ auch noch nicht drau­ßen. Die Band hat ihren Spaß, der Platz ist gut gefüllt und die Men­schen tan­zen, hüp­fen und sin­gen mit. Wer da die Nase rümpft, weil die Band viel­leicht schon zu groß fürs Hald­ern sei, hat doo­fe Ohren.

Moss

Vor ein paar Jah­ren hät­te ich die ers­te Band des Sams­tags mit „typi­sche Hald­ern-Musik“ beschrie­ben, aber der Schwer­punkt in Hald­ern hat sich ein biss­chen weg­ver­la­gert von Indie­rock aus Skan­di­na­vi­en oder Bene­lux (hier: Nie­der­lan­de), hin zu Folk. Um so schö­ner, mal wie­der ganz nor­ma­len Indie­rock zu hören, irgend­wo zwi­schen We Are Sci­en­tists und Kash­mir.

The Black Atlan­tic

Die rund vier­tau­send Bands mit „Black“ im Namen (The Black Keys, The Black Angels, The Black Ghosts, Black Eyed Peas, …) sind kaum noch aus­ein­an­der zu hal­ten, The Black Atlan­tic hat­te mir ein Kum­pel emp­foh­len, also bin ich hin­ge­gan­gen: char­man­ter Folk­pop, mal lei­se, mal ein biss­chen lau­ter.

Alex Win­s­ton

Ich hat­te kei­ne Ahnung, was mich erwar­tet, ich wuss­te nicht mal, dass Alex Win­s­ton eine Frau ist und kein Mann. Was soll ich sagen? Die­se Frau hat Kraft, Ener­gie und einen Ruck­sack vol­ler Melo­dien dabei. Man­ches klingt ein wenig orches­tra­ler, man­ches rocki­ger und am Ende klet­tert die Frau auf den Wel­len­bre­cher um mit dem Publi­kum zu sin­gen. Ein Erleb­nis!

Des­troy­er

Es hat sei­nen Grund, dass Saxo­pho­ne außer­halb von Bruce-Springsteen- und Bon-Iver-Alben musi­ka­lisch kaum noch eine Rol­le spie­len: sobald sie in der Pop­mu­sik auf­tau­chen, ver­sprü­hen sie den Staub ange­grau­ten Acht­zi­ger-Jah­re-Älte­re-Her­ren-Pops – und genau das pas­siert hier bei Des­troy­er, deren Band­na­me lei­der auch noch völ­lig in die Irre führt. Was ich höre ist von einer sol­chen Chris-Rea- und Sting-Haf­tig­keit, dass ich schnell das Wei­te suche.

James Bla­ke

Dar­auf hat­te ich mich ganz beson­ders gefreut – und mich gefragt, wie zur Höl­le James Bla­ke (22, man kann das gar nicht oft genug beto­nen) den Sound sei­nes phan­tas­ti­schen Debüt­al­bums wohl live hin­be­kom­men wür­de. Nun, zum Bei­spiel mit Hil­fe von Syn­the­si­zern, Voco­dern, Loops und mit einem schlicht unfass­ba­ren Drum­mer, der die­se gan­zen Break­beats und Mul­ti­rhyth­men ein­fach mal so live in sein (teils elek­tro­ni­sches) Schlag­zeug häm­mert. Unglaub­lich – genau­so wie die Bäs­se, die man nicht nur im Magen, son­dern auch im Kehl­kopf spürt. Ich glau­be, das wür­de im Dun­keln noch sehr viel bes­ser wir­ken (wie auch Del­phic letz­tes Jahr), aber das ist schon sehr, sehr gut.

Wir Sind Hel­den

Vor die­sem Auf­tritt hat­te ich den meis­ten Bam­mel: Als ich 19 war, fand ich Wir Sind Hel­den unglaub­lich toll, aber als ich zur Vor­be­rei­tung noch mal in ihre Musik gehört habe, fiel mir nicht nur auf, dass ich ihr aktu­el­les Album immer noch schreck­lich fin­de, son­dern sich auch das Früh­werk eher mit­tel­präch­tig über die Jah­re geret­tet hat. Wie also wür­de es sein, die Band nach acht­ein­halb Jah­ren mal wie­der live zu sehen? Erstaun­lich unpein­lich, ja, nach­ge­ra­de schön. Der Schwer­punkt liegt deut­lich auf den ers­ten bei­den Alben und Hits wie „Ist das so?“, „Wenn es pas­siert“, „Nur ein Wort“, „Guten Tag“ oder – natür­lich – „Denk­mal“ wer­den abge­fei­ert, wie sich das gehört. Im Nach­hin­ein hät­te die Band dann auch tat­säch­lich ger­ne län­ger spie­len und Head­li­ner sein dür­fen, dann hät­te ich viel­leicht auch noch „Die Zeit heilt alle Wun­der“ zu Gehör bekom­men.

The Low Anthem

Ihr Auf­tritt im Spie­gel­zelt im ver­gan­ge­nen Jahr zählt zu den groß­ar­tigs­ten und schöns­ten Kon­zert­er­leb­nis­sen mei­nes Lebens. Und auch da klopf­te natür­lich die Fra­ge an, wie das in die­sem Jahr auf der gro­ßen Büh­ne wer­den wür­de. Es wur­de nas­ser, weil wegen nie­der­rhei­ni­schem Som­mer, aber ansons­ten stand das Kon­zert dem letzt­jäh­ri­gen in nichts nach. Was die­se vier Musi­ker aus Rho­de Island da aus ihren vie­len ver­schie­de­nen, oft uralten Instru­men­ten her­aus­ho­len, ist schlicht unglaub­lich. Gibt es eigent­lich in Deutsch­land – unter die­ser Schicht von volks­tü­meln­dem Schla­ger – auch eine tra­di­tio­nel­le Musik von sol­cher Schön­heit?

Fleet Foxes

Was ist da los? Vor drei Jah­ren im Spie­gel­zelt und beim Rock­pa­last haben mich die Fleet Foxes sprach­los zurück­ge­las­sen, dies­mal nur schul­ter­zu­ckend. So wirk­lich ange­freun­det hab ich mich mit ihrem Zweit­werk „Hel­p­less­ness Blues“ auch noch nicht, aber irgend­wie lässt mich das hier alles kalt. Das soll­te man sich und der Musik nicht antun und so stamp­fe ich zum Auto und mache mich auf den Heim­weg. Stun­den, bevor noch ein rich­ti­ger Wol­ken­bruch ein­setzt.

Es gibt ja im Wesent­li­chen zwei Arten, ein Fes­ti­val zu bege­hen: Als Cam­ping mit vie­len Men­schen, viel Alko­hol und ein paar Kon­zer­ten, oder als eini­ger­ma­ßen inten­si­ve musi­ka­li­sche Beschäf­ti­gungs­the­ra­pie. Die­ses Jahr war Hald­ern für mich letz­te­res, aber es hat sich (wie immer) gelohnt. Das Pro­gramm war so eklek­tisch wie glau­be ich noch nie und ich habe eini­ge Künst­ler gese­hen, die ich sehen woll­te, aber auch vie­les Neue ent­deckt.

Defi­ni­tiv in Erin­ne­rung blei­ben wer­den mir die Auf­trit­te von Socal­led (Alter, war das ein geis­tes­kran­ker Spaß!), The Low Anthem, James Bla­ke und Ale­xi Mur­doch. Näher beschäf­ti­gen muss ich mich mit Alex Win­s­ton, Miss Li, 206, The Avett Brot­hers und Wild Beasts. Und dann muss mir noch jemand erklä­ren, was an Des­troy­er, Tim­ber Tim­bre und War­paint so toll sein soll. Ger­ne im nächs­ten August auf einem Reit­platz am schö­nen Nie­der­rhein.