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Stille Gefängnispost

Die folgende Geschichte wird ein bisschen kompliziert. Legen Sie also besser schon mal Papier und Bleistift bereit, wie Sie es beim Betrachten der “Lindenstraße” oder beim Lesen von John-Grisham-Büchern tun, um den Überblick zu behalten.

Josef Fritzl, das darf als gesicherte Information gelten, sitzt zur Zeit in der Justizanstalt St. Pölten in Untersuchungshaft. Der als “Inzest-Monster aus Amstetten” bekannt gewordene Mann wartet dort auf seinen Prozess, der Ende des Jahres beginnen soll.

Der “Daily Mirror”, eine dieser gruseligen britischen Boulevardzeitungen, berichtete am Dienstag, Fritzl habe den Gefängnisarzt um Anti-Falten-Creme gebeten. Noch am selben Tag nahm Bild.de die Geschichte dankbar auf und erfand noch hinzu, Fritzl habe “wohl kein Spiel” der Fußball-EM verpasst.

Inzest-Drama von Amstetten: Josef Fritzl verlangt im Knast nach Anti-Falten-Creme

Fast zeitgleich berichtete “Spiegel Online” über den “Mirror”-Artikel und wartete mit einem überraschenden Twist auf:

Der Gefängnissprecher weiß nichts davon. Auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE sagte Huber-Günsthofer, er habe nie mit dem “Daily Mirror” gesprochen.

Er könne sich nicht erklären, wie die britische Zeitung dazu komme, ihn zu zitieren.

An diesem Punkt wäre es eine schöne Geschichte fürs BILDblog gewesen: “Bild.de schreibt eine Falschmeldung des ‘Daily Mirror’ ab”.

So einfach aber war es nicht: der “Mirror” war längst nicht das einzige britische Medium, das über die Anti-Falten-Creme berichtet hatte. Neben diversen Boulevardmedien fand sich die Meldung auch beim renommierten “Daily Telegraph” – und die werden ja kaum ungeprüft aus dem “Mirror” abschreiben.

Überhaupt stand ja schon bei “Spiegel Online”:

Mit dieser Aussage konfrontiert, teilt der “Daily Mirror” mit, man habe die Informationen “einer Agenturmeldung” entnommen.

Eine Nachfrage beim “Telegraph” ergab: Die Agentur, die diese Meldung verbreitet hatte, heißt “Central European News” (CEN) und sitzt in Wien. Kein deutscher Journalist hat je von ihr gehört. Dort war man sehr freundlich und kooperativ und teilte mir mit, die Nachricht aus der österreichischen “Kronenzeitung” zu haben.

Und dort stand am 12. Juli 2008:

Kurze Spaziergänge im Hof - Einziger Wunsch: Hautcreme - Häftling Fritzl verpasst keinen Bericht über seine Horrortaten!

“Der einzige Extrawunsch von Josef Fritzl war bisher eine Hautcreme”, so Oberstleutnant Erich Huber-Günsthofer von der Justizanstalt St. Pölten.

Bevor CEN die Meldung an den “Daily Mirror” schickte, habe man extra noch mal bei den Gefängnisverantwortlichen nachgefragt und sich die Zitate bestätigen lassen, so die Agentur. Entsprechend überrascht sei man deshalb auch über den Artikel bei “Spiegel Online” gewesen: zwar stimmt es ja wohl, dass der Gefängnissprecher nicht mit dem “Daily Mirror” gesprochen hat – aber das musste er ja auch nicht, weil es sich ja eigentlich um eine Meldung der “Kronenzeitung” gehandelt hatte. Und mit deren Reporter hat Oberstleutnant Huber-Günsthofer dann schon gesprochen, wie er mir auf Anfrage bestätigte. Die vielzitierte Hautcreme habe er allerdings schon im Gespräch mit der “Kronenzeitung” eher beispielhaft genannt, um auf die Alltäglichkeit von Fritzls Wünschen hinzuweisen.

Die Behauptungen (“Kronenzeitung”, “Daily Mirror”, “Bild”), dass Fritzl vor allem oder ausschließlich Berichte über sich selbst lese oder schaue, bezeichnete Erich Huber-Günsthofer im Übrigen als übertrieben: Die Fernseher in den Zellen verfügten über 22 Programme und da es keine 24-Stunden-Überwachung gebe, wüsste auch die Gefängnisverwaltung nicht, was sich ein Gefangener da genau ansehe. Gleiches gelte für Zeitungen: “Ob er die Witzeseite oder den Sportteil liest, kann ich Ihnen nicht sagen.”

Es bleiben freilich immer noch ein paar Fragen offen:

  • Wieso muss eine Meldung der österreichischen “Kronenzeitung” erst einen Umweg über England nehmen, ehe sie von “Bild” aufgegriffen wird?
  • Warum hat “Spiegel Online” nicht nach der Agenturmeldung gesucht, auf die sich der “Daily Mirror” berufen hat?
  • Wie wurde eigentlich aus der “Hautcreme” (Huber-Günsthofer, “Kronenzeitung”) die “Anti-Falten-Creme” (“Bild”)?

Ach, letzteres lässt sich ganz leicht durch einen kleinen Übersetzungsfehler bei CEN erklären, den der “Daily Mirror” ahnungslos aufgegriffen und Bild.de ebenso ahnungslos zurückübersetzt hat:

Incest monster Josef Fritzl is a frequent visitor to the prison doctor to complain about aches and pains and has asked for a supply of anti aging face cream.

Mehrere Versuche, mit den Verantwortlichen bei “Spiegel Online” Kontakt aufzunehmen, verliefen erfolglos. Unterdessen hat Bild.de den Artikel offline genommen und CEN hat angekündigt, sich wegen falscher Unterstellungen bei einer entsprechenden Stelle (falls es so etwas wie eine “German Press Association” gibt) über “Spiegel Online” beschweren zu wollen.

Mit Dank an die vielen BILDblog-Hinweisgeber!

Nachtrag, 18. Juli: Zur Stellungnahme von “Spiegel Online” bitte hier entlang!